10/03/2024 | Opening speech for the exhibition Esther Hagenmaier | Karen Irmer (10 March – 7 April 2024)
— Atelier Wild, Munich
Excerpt (in German)
»Die Oberfläche genießt keinen guten Ruf. Wer sich mit ihr befasst – so lautet die kulturhistorische Behauptung – erliege ihrem trügerischen Schein. Versucht man jedoch hinter den brutalistisch anmutenden Oberflächen in Esther Hagenmaiers skulpturalen Kompositionen etwaige Tiefen oder Perspektiven auszumachen, stößt unser Blick zunächst auf scheinbare Widersprüchlichkeiten. Ganz nach dem Credo Man Rays der 1933 schon postulierte, dass ›ein gewisses Maß an Verachtung gegenüber der Fotografie zur Umsetzung einer Idee unerläßlich sei‹, lassen uns Hagenmaiers ›shaped photographs‹ erst einmal im Ungewissen. Zwischen materieller Opazität und perspektivischer Verweigerung angesiedelt reihen sich Schatten- und Bodenkanten, Sichtbeton sowie gegenläufige Winkel aneinander – bis plötzlich ein blauer Himmel aufscheint. Worauf genau richtete sich der Blick Hagenmaiers? Indem die Künstlerin die Fotografie aus ihren rechteckigen Konventionen löst, lässt sie die Betrachtenden selbst darüber entscheiden, wo oben und wo unten sein könnte. Hagenmaiers Streben nach Abstraktion steht dabei ganz im starken Kontrast zu Karen Irmers Bildsprache, die sich jeglicher Gegensätzlichkeit verweigert. […] Den Blick noch nicht frei, tasten wir uns zunächst durch ein dunkles Dickicht, ein schwerer Nebeldunst hängt noch zwischen den Zweigen. Eine Horizontlinie teilt die Komposition in zwei – ein Spiel der Illusion, geprägt von nächtlichen Landschaftsszenerien, die durch das Einfangen zerstreuter Lichtverläufe und verringerter Bildschärfe an den Piktorialismus erinnern. Jene kunstfotografische Stilrichtung der späten 1800er Jahre, die durch weiche Fokussierungen und experimentelle Drucktechniken eine malerische Anmutung anstrebte […].«
— Katrin Bauer